Kurzkommentar --- 19. April 2005

Günter Rohrmoser

Verordnete Entchristlichung in Berlin
Der Kulturkampf geht weiter


In den zahlreichen Diskussionen, die sich mit der Gestalt des verstorbenen Papstes auseinandersetzten, wurden Fragen aufgeworfen, die weit über den Anlaß hinaus von grundsätzlicher und allgemeiner Bedeutung sind. So äußerte unter anderem in einem dieser Gespräche der katholische Theologe Drewermann die Meinung, dass das menschenfeindliche, ihn unterdrückende und ihn in seinem Menschsein versehrende Wesen des katholischen Systems darin begründet sei, dass die katholische Kirche den Besitz einer garantierten absoluten Wahrheit in Anspruch nehme und oft in terroristischer Weise den Menschen diesem absoluten Wahrheitsanspruch unterwerfe. Der Papst habe es unterlassen, eine Äußerung auch nur zu versuchen.

Zum Beleg seiner These nannte er aus seiner tiefenpsychologischen Praxis unter anderem das Beispiel eines 18-jährigen Mädchens, das schwanger war und sich in einer ausweglosen Lage befunden hätte und dem die katholische Lehre keinen Anhalt für eine menschliche Lösung geboten hätte.

Dieses Argument, dass die katholische Kirche und damit auch der Papst für seine Verkündigung den Anspruch der Wahrheit erhoben hätte, klingt natürlich unserem modernistischen, zum Teil postmodernistischen Bewußtsein seltsam abwegig und da dieses Bewußtsein sich als Höhepunkt liberalen Denkens und Empfindens versteht, trifft das auf entschlossene, ja zum Teil aggressive Zurückweisung. In dieser Gesellschaft einen Wahrheitsanspruch zu erheben ist niemand berechtigt. Denn einen Wahrheitsanspruch kann man nicht erheben, ohne mit diesem Anspruch auch gleichzeitig Verbindlichkeit zu beanspruchen, und eine solche Beanspruchung wäre mit dem uneingeschränkten Recht des Individuums auf Selbstbestimmung und freier Wahl seines Handelns unvereinbar, wäre also aus liberalistischer Sicht geradezu ein als totalitär, im schlimmsten Falle sogar terroristisch zu deutender Anschlag auf die Errungenschaft unserer Liberalität.

Nun wissen wir, dass dieser unangenehme und zurückzuweisende Anspruch auf Wahrheit nicht eine Spezialität nur der katholischen Kirche ist, sondern dass der Wahrheitsbegriff in der Mitte der christlichen Verkündigung selbst steht. Denn schließlich hat Jesus Christus von sich gesagt, er sei die Wahrheit und das Leben und niemand käme zu dem Vater, es sei denn, - so müssen wir ergänzen und erläutern - dass die in seiner Person inkarnierte Wahrheit anerkannt wird.

Nun ist diese Diskussion alles andere als ein Zeichen aufgeklärten Bewußtseins, ...


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