Kurzkommentar - 6. Februar 2006

Günter Rohrmoser
Der Kampf der Kulturen - Die Lunte brennt *


Teile der islamischen Welt sind im Aufruhr als Reaktion auf die Karikatur vom Propheten Mohammed. Das ist ein Signal, und es hängt sehr viel davon ab, ob wir dieses Signal begreifen. Denn wir haben uns in diesen Breitengraden daran gewöhnt, dass man die Gefühle christlicher gläubiger Menschen mit Füßen treten kann, blasphemiefähig ist dieses Christentum schon gar nicht mehr. Alles wird hingenommen und geschluckt, weil das höhere Gut nicht der persönliche Glaube von irgendwelchen Religionsanhängern, sondern die Pressefreiheit ist. Und darum sind wir jetzt ganz erstaunt, dass eine solche Karikatur fast die ganze muslimische Welt in Aufruhr und Bewegung versetzt. Sie schlagen zurück, und zwar in einer Art und Weise, die für unsere Begriffe unfassbar ist, mit Morddrohungen, mit Boykottaufforderungen, mit den Forderungen an Dänemark, als Ausgleich eine Moschee zu bauen und die Aufforderng, sich offiziell zu entschuldigen, bis hin zu der Erklärung, dass jeder Däne ein potenzielles Terroropfer sei zur Ahndung dieser Ungeheuerlichkeit, durch die sie das, was Muslimen das Heiligste ist, beleidigt und in den Schmutz gezogen sehen.

Das ist zwar noch nicht der Kampf der Kulturen, aber es ist die Lunte, die an ein Pulverfass gelegt wird, aus dem sich schneller als wir uns das vorstellen können das entwickeln kann, was Huntington als den "Clash of Civilizations", den Kampf der Kulturen voraus- und vorhergesehen hat.

Und was setzt die westliche Welt dieser Reaktion entgegen? Zunächst einmal, der dänische Ministerpräsident hat sich schon entschuldigt. Die deutsche Regierung hat das vorläufig noch nicht vor, aber ich bin sicher, bei den ersten Brandanschlägen wird die sich auch noch überlegen, ob nicht doch eine Entschuldigung der leichtere und der bessere Weg ist.

Und was verteidigen wir im Blick auf die möglichen Entwicklungen und Konsequenzen, die hier vielleicht angezeigt werden? Wir verteidigen die Pressefreiheit, d.h. also die uneingeschränkte Freiheit, dass man auch das, was für über eine Milliarde Menschen das Heiligste ist, karikieren kann, indem man den Propheten mit einer Bombe zusammen abbildet. Das Recht auf die Freiheit, genau das zu tun, das verteidigen wir.

Aber was wir eigentlich diskutieren müssten ist, ob die Pressefreiheit auch in freiheitlichen liberalen Demokratien eine Grenze hat oder eben nicht. Gibt es überhaupt etwas, was der beliebigen Ausübung der Pressefreiheit entzogen sein soll? Und wenn wir diese Diskussion nach der Frage, ob es Grenzen für die Pressefreiheit gibt, oder das was man so nennt, dann müssen wir auch die Frage beantworten, in wessen Namen wir der Pressefreiheit Grenzen ziehen wollen. Die Frage ist, ob eine Gesellschaft, der nichts heilig ist, die selbst die Wahrheitsfrage als demokratiefeindlich praktisch eliminiert hat, ob die überhaupt noch in der Lage ist, der Ausübung der Pressefreiheit eine Grenze zu ziehen. D.h. diese Überlegung führt zu den fundamentalen Fragen des Selbstverständnisses unserer Kultur. Und wenn wir aus dieser Erfahrung etwas Vernünftiges und Segensreiches machen wollen, dann sollten wir sie zum Anlass nehmen, uns mit uns selbst zu befassen und nach den Gründen zu fragen, die uns so und nicht anders darauf reagieren lassen.

Ein Journalist berichtete jüngst, dass er sich in den letzten Wochen mit den Karikaturen des Vorderen Orients beschäftigt hat und er sei vor dem, was ihn dort zugemutet wurde voller Empörung, Entsetzen und Ekel zurückgewichen. Denn diese Karikaturen seien so einmütig und so extrem in ihrem Rassismus, ihrem Antisemitismus, ihrem Kampf gegen das Christentum und die Welt im Westen, dass er darüber empört war, dass dieselben Leute sich dann anlässlich einer solchen Karikatur so aufregen. Man muss doch die Frage stellen, wieso offenbar in der muslimischen Welt Rassismus, Antisemitismus, Antiwestlertum in dieser radikal extremen Form übliche normale Praxis ist und das bei uns nicht zur Kenntnis genommen wird, geschweige dass sich überhaupt einer darüber aufregt.

Wenn er beide Vorgänge nüchtern analysiert, dann kann ein intelligenter Moslem nur zu dem Ergebnis kommen, dass dieser Westen sich aufgegeben hat. Dieses Europa verteidigt sich nicht mehr. Es kann vielleicht noch Waffen und Wirtschaftssanktionen einsetzen, aber da wo es im Kern herausgefordert wird, scheint es nicht mehr bereit zu sein, sich zu behaupten und zu verteidigen. Das kann es offenbar nicht, weil es sich die Grundfrage nach der eigenen Religion und religiösen Geprägtheit und der Bestimmtheit seines Selbstverständnisses und aller Güter, zu denen auch die Freiheit gehört, die die Presse hier in dieser Form eingesetzt hat, nicht mehr stellt und beantwortet. Also eine Frage, die man nicht politökonomisch und mit marxistischen Kategorien beantworten kann, sondern die bestätigt, was sich eigentlich schon seit 20 Jahren absehen lässt, nämlich dass die Grundfragen unseres Jahrhunderts nicht mehr aus der politischen Ökonomie und damit aus den westlichen Sozialwissenschaften und im weitesten Sinne auch der Politikwissenschaften formulierbar sind, sondern dass die Theologie und die Religion in die Weltgeschichte und auf die Weltbühne zurückgekehrt sind. Dort wo die tiefsten Leidenschaften in Bewegung gesetzt werden, geht es nicht mehr um Fragen, die wir mit Marxismus und Sozialwissenschaften gestellt und beantwortet haben, sondern diese neuen Fragen haben eine ganz andere Dimension, so wie übrigens auch schon Arnold Gehlen der Meinung war, dass es mit der Religion wieder ernst wird, wenn sie die Kraft hat, Fronten zu schaffen, und diese Fronten sind heute da. Aber noch ist das eine Selbstanfrage an Europa.

Eine Zeitung hat geschrieben, wir müssten als heiliges Gut gegen diese Reaktion auf die Karikatur des Mohammed das Recht auf Religionskritik verteidigen, und das Elend des Islamismus sei, dass er keine Kritik an sich selbst zulässt und ausgebildet hat. Aber Religionskritik gehört zum Christentum, denn Kritik am Christentum ist so alt wie das Christentum selbst. D.h. die Kritik als Selbstkritik ist eine Form des Kampfes um eine bessere Erfassung der christlichen Wahrheit in Sinne des "Semper Reformanda", also ein konstituierendes Prinzip des Christentums selbst. Aber heute braucht dieses Christentum keine externe Kritik mehr, das besorgen Theologen, vor allen Dingen in Deutschland, mit einer Radikalität, dass es einem nur den Atem rauben kann.

Vor ein paar Tagen hat ein ehemaliger evangelischer Dekan, also immerhin ein Vorgesetzter von evangelischen Pfarrern, geschrieben, das ganze Christentum sei das Produkt einer Fälschung. Und der, der es verfälscht hätte, bereits von Anfang an, sei Paulus gewesen. Paulus hätte aus dem Juden Jesus, der eigentlich die jüdische Religion erneuern wollte, den Christus gemacht und sei damit der Vater des Antisemitismus, und soweit das Christentum Jesus als Christus in Anspruch genommen hat, sei es eine Erfindung, eine antisemitische Fiktion, eine Lüge und eine Fälschung, die Paulus in die Weltgeschichte gesetzt habe.

Das sagt nicht irgendein wild gewordener Aufklärer oder Freigeist, das ist ein ausgebildeter Theologe in der heutigen christlichen Kirche. Und was bedeutet das? Die Konsequenz dessen, was er dort gesagt hat ist, dass wir das Christentum als eine Fälschung abtun und überwinden und uns zum Judentum bekehren müssen. Offenbar als letzten Reueakt für das einzigartige Verbrechen in der Geschichte sollen wir das Christentum überwinden und zu dem ursprünglich von Jesus gemeinten Judentum zurückkehren. Wer will da noch Kritik am Christentum besorgen, das besorgen doch die Theologen selbst und dieser beruft sich auch noch auf einen Weltkonsens.

Mit Gottes Hilfe und Gottes Erleuchtung führen wir ein Seminar über Paulus durch und ich hoffe, dass damit deutlich wird, worum es hier und im Grunde genommen geht.

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