Kurzkommentar - 4. März 2010

Albert Wieland
Was wir durch den Islam über uns lernen können *


Im SPIEGEL Nr. 3 vom 18.1.2010 erschien ein vielbeachteter Artikel von Rüdiger Safranski „HEISSE UND KALTE RELIGIONEN“. In einem weiten Sinne angelehnt an Thesen des englischen Historikers Arnold Toynbee über den Aufstieg und Niedergang der Kulturen, entwickelte Safranski eine vergleichbare These für Religionen. Danach habe im Verlauf des geschichtlichen Prozesses das Christentum seine Schärfe und missionarische Kapazität verloren, sei also abgekühlt und deswegen könne man moderat in diesem Christentum leben. In diesem Zustand der Abkühlung sei der Islam aber noch nicht angelangt. Was Safranski in seinem brilliant formulierten Artikel übersieht, ist, dass der Islam nicht wesentlich jünger ist als das Christentum. Er ist nach dem Zusammenbruch des osmanischen Reiches fast zwei Jahrhunderte lang in eine geschichtlich bedeutungslose Rolle zurückgefallen, an der auch das Erdöl, der Schlüsselrohstoff für die moderne Industrie, zunächst nur wirtschaftlich etwas änderte. Heute dagegen ist unübersehbar, dass der Islam erneut Weltbedeutung erlangt hat. Den Lähmungszustand des Christentums unter der Aufklärung erklärt Safranski durch den Anspruch der Naturwissenschaften, den Glauben nur dann anzuerkennen, wenn er wie eine naturwissenschaftliche These sich durch Beweise rechtfertigen könne. Näheres erläuterte er dazu aus dem Werk von Blaise Pascal.

Safranski schlussfolgert, dass dieser glänzende Physiker und Mathematiker die Beweise für die Richtigkeit des christlichen Glaubens letztlich auch schuldig geblieben sei und mit der berühmten „Wette“ sogar vom Thema abgewichen sei. Diese Einschätzung Safranskis von Pascal greift zu kurz. Denn Pascal hat keineswegs an dieser aufklärerischen Beweisforderung im Sinne ihrer Erfüllung gearbeitet, sondern festgestellt, dass der Mensch auf zwei verschiedenen Wegen erkenntnisfähig ist. Einmal mit der Ratio, dem Verstand, auf dessen Erkenntnis alles zutrifft, was die Aufklärung zur Ausschließlichkeit erhoben hat, wie Mathematik, Naturwissenschaft und Begrifflichkeit. Zum anderen mit dem von Pascal sogenannten „Esprit finesse“, der mit dem Herzen erkennt. Pascal führt aus, dass das Herz Prinzipien erkennt und zwar nicht wie in der Naturwissenschaft über kumulierende Detailerkenntnisse, sondern immer ganz. Er kommt zu dem Schluss, dass Prinzipien gefühlt und Lehrsätze gefolgert werden, also Gewissheit auf unterschiedlichen Wegen vermitteln. Pascal führt an, dass die Beweisforderung der Verstandeserkenntnis an das vom Herzen erkannte, und umgekehrt die Forderung des Glaubens, dass der Verstand Rechenschaft zu geben habe über das Gefühl der wissenschaftlichen Thesen, absurd seien. Wenn nur das geglaubt werden könne, was naturwissenschaftlich belegbar sei, dann sei die bisherige Ergebnislosigkeit nicht dem Glauben, sondern der Begrenztheit der Verstandeserkenntnis anzulasten, die, wenn sie ihren eigenen Voraussetzung treu bleibt, sich nur auf Dinge in Raum und Zeit beziehen kann und Aussagen jenseits dieser Beschränkungen nicht machen kann, weshalb eine Beweisforderung nicht aus dem Gegenstand, sondern wenn überhaupt dann nur ideologisch begründet werden kann.

Dem Christentum dagegen scheint heute in diesem „Abkühlungsprozess“ als Schicksal zu widerfahren, auf das Niveau einer milde moralisierenden Sozialreligion abzusinken, wie es der preußische Religionsphilosoph Troeltzsch einmal formulierte. Im Islam dagegen haben wir ein beeindruckendes Beispiel vor Augen von der geschichtsgestaltenden Kraft und Macht einer Religion, die sich ernst nimmt. Die bisher rätselhafte und unverständliche Haltung des Westens zum Islam durchdacht und meines Erachtens erklärbar gemacht zu haben, ist Safranskis Verdienst. Demnach meint man im Westen, der Islam solle sich ruhig an den geschichtlichen Problemen abarbeiten und dadurch seinen Abkühlungsprozess erleben, und dann könne man sich auf der Basis des modernen Humanismus schon verständigen. Diese abwartende Haltung der westlichen Führungseliten begründet letztlich die Akzeptanz islamischer Gewalt als eine Art Unreifesymptom, das sich mit fortschreitender Entwicklung abschleifen und geben werde. Diese Konzession, ja sogar eine Art Privileg auf Gewalt, ist möglicherweise auch die Erklärung dafür, dass islamische Geistliche Mordaufträge mit hohen Kopfgeldern nicht nur gegen abweichende Islamanhänger, sondern auch gegen unbequeme westliche Journalisten verhängen können und gegen die dem Vernehmen nach bis heute noch kein Verfahren eingeleitet wurde.

Der Westen hat bisher keinerlei Ergebnisse einer Politik verzeichnen können, die durch auflagenfreie Überlassung von Gestaltungsräumen einen selbstbewusst seine Macht entfaltenden Islam zu Konzessionen bewegen will. Warum sollten sie auch, denn das gehört nicht in den Bereich von Politik, sondern zu den schönen Träumen und Wünschbarkeiten. Es ist doch sehr bedenklich, dass die westlichen Staaten in der gegenwärtigen Lage, konfrontiert mit dem energisch expandierenden Islam, Illusionen zur Grundlage ihrer Politik machen. Dafür kann man den Islam aber nicht verantwortlich machen, denn der deckt dies nur auf.

Anscheinend hat der Westen durch seine Abwendung von der Religion auch die Fähigkeit eingebüßt, eine Religion zu verstehen und damit politisch und kulturell adäquat umzugehen. Der Islam zwingt uns nun dazu, uns damit zu befassen, und wenn wir weiter diesen Illusionen folgen, werden unsere Gestaltungs- und Einflußmöglichkeiten rasch abnehmen.

Die überfällige Ursachenforschung kann keine pauschale Verurteilung der Aufklärung zur Voraussetzung haben, aber an der Untersuchung der geistigen Grundlagen und Nebenwirkungen des Sozialstaates kommen wir wohl nicht vorbei. Francis Bacon, Condorcet bis hin zu Karl Marx, um nur einige zu nennen, haben dieses Modell entwickelt, um Kontingenz, also Leid, Not und Tod abzuschaffen, den Menschen alle Wünsche und Bedürfnisse auf Dauer zu erfüllen und so die unvollendete „steckengebliebene“ Schöpfung zum irdischen Paradies zu vollenden. Diese Ziele sind zwar bis heute nicht erfüllt, aber die Leistungen, die bei ihrer Verfolgung hervorgebracht wurden, sind immer noch beeindruckend, obwohl sie durch die Verursachung der Umweltproblematik geschmälert wurden.

Wie der Stuttgarter Sozialphilosoph Günter Rohrmoser ausführte, ist dieser Sozialstaat mit seinen beispiellosen Erfolgen und Leistungen an die Stelle Gottes getreten. Heute erwarten wir vom Sozialstaat das, was die Menschen vor der Aufklärung von einem gnädigen Gott erwartet und erbeten haben. Das zentrale Erkenntnismittel dieses Sozialstaates ist vereinfacht dargestellt die Verhältnis- und Verteilungsrechnung, und das politische Instrument ist die Umverteilung. Die Voraussetzung für erfolgreiche Umverteilung sind jedoch 2-3 Prozent Wirtschaftswachstum, die heute nicht mehr erbracht werden können. Aber selbst wenn 5 oder gar 6 Prozent Wachstum wie in den besten Zeiten erwirtschaftet würden, müsste damit jahrzehntelang das zurückgezahlt werden, was wir nicht hatten, aber trotzdem umverteilten. Bis heute blieb unbeachtet, dass sich in den Zeiten des prosperierenden Sozialstaates ein revolutionärer Mentalitätswandel vollzogen hat. Aus der zunehmenden Inanspruchnahme des Sozialstaats entwickelte sich eine sogenannte „Empfängermentalität“. Diese ist inzwischen durchgängig und fast zur Selbstverständlichkeit geworden. Das vornehmste Ziel ist die Sicherung der Zuteilungsquote, verbunden mit der Hoffnung, mindestens so viel aus dem Umverteilungstopf herauszubekommen wie man einzahlen musste. Das blieb nicht ohne Folgen für die politische Kultur. Nicht mehr das Allgemeinwohl und die vitalen Existenzbedingungen von Volk und Staat, sondern Verteilungskämpfe von Interessengruppen und Einzelnen bestimmen die Inhalte der Politik. Gemanagt und manipuliert von Lobbyisten bleibt den „Zuteilern“, die den „Empfängern“ gegenüberstehen, nichts anderes übrig als die Umverteilungsleistungen auf Pump zu finanzieren, weil sonst zu befürchten steht, dass ohne die gewohnten Zuteilungen alles auseinanderbricht, da uns sonst fast nichts mehr zusammenhält. Diese Entwicklung von Staatsbürgern zu „Empfängern“ und von Politikern zu „Zuteilern“ würde man an der Börse als ein Allzeittief der politischen Kultur bezeichnen.

Jean Jacques Rousseau, der noch wusste, dass eine Kultur ein komplexes Gebilde ist, forderte im Hinblick auf die antireligiöse, antichristliche und antikirchliche Ausrichtung der Aufklärung, dass dieser herausgenommene Baustein Religion ersetzt werden müsse. Dabei ging es ihm weniger um Vollständigkeit, als um die Einsicht, dass wenn man diesen Platz leer ließe, niemand vorhersagen könne, welche möglicherweise schrecklichen Dinge in dieses Vakuum einwandern würden. Sein Vorschlag war daher, eine religion civile an diese Stelle zu setzen, in der u.a. Heimatliebe, Volksloyalität, Nachbarschafts- und Nächstenliebe sowie Solidarität zusammengefasst waren.

Wenn Hölderlin Recht hätte, dass mit der Not auch das Rettende wächst, gebietet die intellektuelle Redlichkeit neben dem Sozialstaat auch das zu prüfen, was sich als solches anbietet. Ein geistig-kultureller Widerstand gegen diese Entwicklung ist zweifellos vorhanden, brodelt aber seit fast 40 Jahren knapp über der politischen Hörbarkeitsgrenze ohne nennenswerte Ergebnisse vor sich hin. Und gerade diese unverständliche Wirkungslosigkeit in einer Lage, die nach Veränderung geradezu schreit, in der die Herrschenden nur noch Krisenmanagement betreiben und an ihren Sesseln klebend verzweifelt versuchen, nur noch über die Runden zu kommen, erfordert eine weitergehende Untersuchung.

Wenig beachtet haben sich ausgangs des Jahres 2009 mehrere CDU Ministerpräsidenten, allen voran Roland Koch, stark gemacht für die Wiederentdeckung des konservativen Profils der CDU. Nachdem dieser Vorstoß einige Schlagzeilen gemacht hatte, äußerte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel lapidar: „Die CDU muss weiter nach links rücken.“ Diese Meisterleistung der Kohl-Schülerin hatte durchschlagenden Erfolg. Damit hatte sich die Parteivorsitzende natürlich die volle Unterstützung der überwiegend links stehenden Presse gegenüber diesem Vorstoß gesichert und die Ministerpräsidenten gaben entmutigt auf. Dieser Vorgang offenbart die ganze Trostlosigkeit dessen, was als geistige Erneuerung, geistige Wende, geistig-moralische Umkehr, ja sogar konservative Revolution, die die evidenten Übel überwinden wollten, angetreten war und wieder verschwunden ist. Übel ist demnach nicht nur in dem Herrschenden auszumachen, sondern steckt wohl auch in den kraftlosen, so gut meinenden Alternativen. Offenbar gibt es in diesem Land niemandem Grund zum Nachdenken, dass in den letzten 30 Jahren eine sehr große Anzahl solcher Aufbrüche und Gründungen, die Alternativen zu den versagenden Modellen der Aufklärung sein wollten, scheiterten und warum sie möglicherweise sogar scheitern mussten. Der letzte größere Vorgang in diesem Zusammenhang, der Niedergang des Studienzentrums Weikersheim, soll als Beleg dafür genügen.

Fast alle diese Aufbrüche, soweit sie nicht in die religiöse Innerlichkeit ausweichen, verstehen sich als Opposition gegen die Erfolge der aufklärerischen Intellektuellen bei der Okkupation von Politik und Staat. Sie sind also im Kern Protestbewegungen und in der linken Terminologie wohl auch zutreffend ausgedrückt, reaktionär. Bloße Protestbewegungen müssen aber das bekämpfte Übel bewahren, weil mit dessen Verschwinden auch ihre Daseinsberechtigung verschwindet. Diesen Alternativen liegt meistens unreflektiert die bei Jean Jacques Rousseau als Ersatz für das Christentum entwickelte religion civile als Leitbild zu Grunde. Das bedeutet nicht weniger, als dass man mit dem Surrogat, das die Aufklärung sich als Ersatz für das Christentum ausdachte, die Aufklärung bekämpfen will, und in einigen Fällen soll damit sogar das christliche Abendland wieder hergestellt werden. Aus dieser absurden Legitimation werden sogar unmittelbare politische Konsequenzen gezogen, wie „Sammlungsbewegung“, „Zusammenschluss“, „Kaderschulung“, „Elitebildung“ oder sogar Parteigründungen. Die linksliberalen Intellektuellen brauchen diese vollmundigen Appelle wahrscheinlich dringender als die bisher vergeblich um Zündfunken ringenden Konservativen, denn nur so können sie ihre auseinanderlaufenden Anhänger wieder sammeln. Der Ausgang ist seit 30 Jahren für die betroffenen Vereinigungen immer derselbe. Die Beschwörungen des hohen Geisteserbes und vergangener Hochleistungen, ein unverzichtbares Element dieser Aufbrüche, erinnern an einen abstiegsgefährdeten Spitzenfussballclub, dem zur Abwendung der Krise nichts anderes einfällt, als die Pokale vergangener Erfolge zu präsentieren. Solange die, die es besser machen wollen, mit einer so bescheidenen, um nicht zu sagen dürftigen Zurüstung antreten, brauchen sich die Herrschenden um ihre Macht und Pfründe keine Sorgen zu machen, es sei denn, dass ihr Niedergang wie im einst real existierenden Sozialismus schneller voranschreitet als ihre Gegner brauchen, um sich etwas Vernünftigeres einfallen zu lassen. Aber selbst in diesem Fall könnten sie mit so unbedarften Gegnern wieder ein Bestandserhaltungsabkommen abschließen, wie das ja bei der Auflösung der DDR doch grandios gelang.

Friedrich Nietzsche dichtete in der „Fröhlichen Wissenschaft“ den Mythos vom tollen Menschen, in dem er anschließend ein Fazit aus der Erkenntnis vom Tod Gottes zieht.

„Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts?“ (Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, 3. Buch, siehe auch Günter Rohrmoser, Zäsur, Seite 336 ff)

Der Tod Gottes kreist bei Nietzsche nicht wie in der Theologie um Golgatha, sondern bezeichnet eine bestimmte Art von Denken, ohne verankernden Höchstwert, also eine Bedeutungshierarchie ohne Eichmarke. Die Bedeutungshierarchie ändern oder schreiben heute die Intellektuellen fest, weil sie alleine die Macht haben, anderen ihre Werte aufzuzwingen und durchzusetzen. Dem zu diesem Zweck entwickelten perfekt organisierten Gutmenschenkult läuft eine lemminghafte Anhängerschaft bedenken- und fast willenlos hinterher.

Nietzsche beschreibt mit einer beklemmenden Aktualität einen Zustand, in dem alles möglich und nichts unmöglich ist. Man kann das mühelos belegen: Schüler und Studenten beurteilen ihre Lehrer. Kinder verurteilen erziehende Eltern, Frauen verhalten sich wie Männer und Männer verhalten sich wie Frauen. Inländer werden wie Ausländer und Ausländer wie Inländer behandelt. Straftäter werden umsorgt und sozial betreut, die Opfer vergessen oder sogar beschuldigt. Wohlstand durch Fleiß und Tüchtigkeit ist Diebstahl, Null-Bock und Faulheit kulturelle Reifungsverzögerung. Bei der Erörterung der Untaten des Sozialismus sitzen die Linken mit am Tisch, was etwa in dem Rockerprozess der Berufung der Anführer der Bandidos zu Schöffen entsprechen würde. Diese Ausbrüche von Irrationalität entstehen aber nicht zufällig, sondern werden, soweit sie nicht Ausdruck machtbewusster Hybris sind als gezielte Destruktion der Vernunft gegen die abendländisch-christliche Kultur gerichtet, die nach Auffassung der herrschenden Intellektuellen dem utopischen Ziel einer globalen Einheits- und Menschheitsideologie im Wege steht. Da außer Vorteilsabruf von außen auf diesem Weg zur Einheitsmenschheit bisher keine Solidarisierungen von weiteren Staaten zu verzeichnen sind, werden tatsächlich nur die Bedingungen unserer Identität und unserer staatlichen Existenz sinn- und ersatzlos verschleudert.

Nietzsche bezeichnet einen solchen Zustand der vollendeten Orientierungslosigkeit mit seiner Diktatur des Relativismus als selbstmörderischen Nihilismus.

Diese nur skizzierten Zustände in einem hochtechnisierten Industriestaat, die uns tagtäglich umgeben, wollen die alternativen Aufbrüche bevorzugt dadurch bessern, dass sie die linksliberalen Intellektuellen von den Schalthebeln ihrer Macht und Pfründen verdrängen. Das aber als wesentlichen Teil der Problemlösung zu verkaufen, ist nicht nachvollziehbar. Denn erst wenn die zuvor festgestellte Destruktion der Vernunft aufgehalten und umgekehrt wird, entsteht wieder ein gemeinsamer politischer Wille, der sich seine eigenen Strukturen schafft, die sicher nicht mit den Vorstellungen der Alternativen übereinstimmen werden. Das kann aber die Politik nicht leisten, denn dies ist eine Domäne der Kultur und der sie stiftenden Religion. Die vorwiegend politisch operierenden alternativen Aufbrüche können nicht zuletzt wegen ihrer dargestellten Defizite diese unabdingbare Voraussetzung noch nicht einmal im Ansatz erfüllen. Die Gottlosigkeit ist im Bürgertum fast durchgängig bis in die Kirchen hinein verbreitet, wir hassen Gott nicht, sondern wir glauben statt dessen, dass wir durch den Sozialstaat vor allen Situationen geschützt sind, in denen nur Gott noch helfen kann. Wir halten uns von der Gottesfrage nach unserem Selbstverständnis nicht mehr für betroffen und behandeln Gott, wenn überhaupt, mit dieser lächelnden Geringschätzung, mit der wir an die Märchen unserer Großeltern zurückdenken.

Als Ziel einer Entmachtungs- und Unterdrückungsstrategie und durch die bitteren Enttäuschungen, wenn die vollmundig aufbrechenden Alternativen wegen ihrer festgestellten Defizite wieder abgewürgt werden, haben die Konservativen einen schweren Stand in diesem Lande und ihnen bleibt scheinbar nur die Emigration ins Private oder in die Wut.

Die Wahrheit in Lenins These, dass die Geschichte klüger ist als die Menschen, besiegelte letztlich das Schicksal der Sowjetunion und auch aller anderen Modelle und Spielarten des Sozialismus weltweit. Diese Zusammenbrüche ruinierter Völker verdrängen die herrschenden Intellektuellen der Bundesrepublik Deutschland ebenso wie das Resümee des letzten Generalsekretärs der KPdSU, Michail Gorbatschow, der den Sozialismus als den verhängnisvollsten Irrweg in der Geschichte der Menschheit bezeichnete. In immer kürzeren Intervallen auftretende Krisen kündigen aber für jedermann verständlich an, dass auf uns vergleichbares zukommt. Der Ausgang einer christlich-konservativen Erneuerung, für die Günter Rohrmoser unermüdlich eingetreten ist, ist zwar ergebnisoffen, bietet aber doch dazu eine echte Chance.

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Zur weiterführenden Vertiefung des Themas:

Günter Rohrmoser: Geschichte vs Träume –
Ist der Atheismus das wahre Übel (ausgelegt an Dostojewski u. Pascal)
2008, 37 Seiten, Broschüre, ISBN 978-3-930218-44-8, Euro 4,00

Günter Rohrmoser: Islam – Die unverstandene Herausforderung
2006, 9 Seiten, Kurzkommentar, A4 geheftet, Euro 1,00 zzgl. Versand

Egbert Schuurman: Die Herausforderung der islamischen Technologiekritik
2009, 42 Seiten, Broschüre, ISBN 978-3-930218-45-5, Euro 4,00

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