Kurzkommentar - 14. April 2011

Albert Wieland
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Sehenden Auges - *
Die Erosion der politischen Mitte



Vordergründig betrachtet kann man das Abschneiden der CDU in den jüngsten Wahlen für ein Produkt der freien Entscheidung von Wählern in der Demokratie halten. Das sind sie auch, aber nicht nur, denn Wahlen spiegeln immer auch den inneren Zustand eines Gemeinwesens wider. Die rücksichtslose Entschlossenheit, mit der die Rot-Grünen-Projektler es verstanden, das Leid und das Elend des japanischen Volkes und das Chaos nach Tsunami, Erdbeben und Atomkraftwerkshavarien auf deutsche Verhältnisse zu übertragen, zumindest die Befürchtungen davor so zu schüren, als ob Vergleichbares jederzeit bei uns eintreten könnte, erklärt einiges, aber nicht sehr viel. Dafür muss man sogar ein gewisses Verständnis haben, denn um die politische Macht ist schon immer mit harten Bandagen rücksichtslos gekämpft worden. Ausschlaggebend aber war eher, dass eine Epoche des Substanzausverkaufs der CDU nun zu ihrem vorhersehbaren Ende zu kommen scheint. Es war doch so, dass alle im Widerspruch zu unserer christlichen Herkunftskultur stehenden „Fortschritte“ des Rot-Grünen-Projektes nach einigem Wenn und Aber, von der CDU zeitversetzt nachvollzogen wurden. Mit dieser Nachklapp-Strategie wollte man einen Teil der Zustimmung zu dieser ideologisch, also mit einem Ersatzglauben hinterlegten Bewegung auf die eigenen Mühlen leiten. Besonders erwähnt sei die unverzeihliche Haltung der CDU, als sie die Ungeborenen, also unsere Zukunft, in der Abtreibungsfrage im Stich ließ. Unübersehbar ist, dass geistige Initiative und geistige Führung mit dem konservativ-christlichen Potential, das die CDU bisher vorgab politisch zu vertreten, außer in Belanglosigkeiten nichts mehr zu tun hatte. Es bedurfte dieses erschütternden Ereignisses in Japan, um die Menschen so in Angst und Schrecken zu versetzten, dass sie bei den Wahlen die ökosozialistischen Originale und nicht deren Plagiat wählten.

Der Rückzug der CDU von ihrem Programm war unübersehbar, als ihre konservativen Stammwähler in die Genealogie des Faschismus gerückt und verfolgt wurden und sie nicht nur nicht verteidigt wurden, sondern ganz im Gegenteil steuerte die CDU sogar „schöne Erfolge“ im Antifa-Kampf bei. In einer Art Appeasement-Politik wurde programmatische Substanz für Frieden und Erfolg geopfert, vergessend, dass in der schließlich eintretenden Leere, von der die abstrakte Wertedebatte zeugt, ein Existenzkampf der Partei wenig Aussicht auf Erfolg hat. Wer nichts mehr hat, wofür zu kämpfen und zu leiden gerechtfertigt ist, hat auch keinen Grund zu kämpfen, besonders dann, wenn Glaube und Wahrheit nicht mehr wirklichkeitsgestaltende Kräfte, sondern Gegenstand einer Geschwätzkultur geworden sind.

Wenn wundert es also, dass der CDU die Konservativen aus den genannten Gründen seit Jahren davonlaufen. Das meint nicht in erster Linie Prominente wie Roland Koch oder Peter Müller, sondern eher eine Art Abwanderungsbewegung der Konservativen aus allen Ebenen der CDU-Organisationsstruktur, weil sie in deren Politik kaum mehr etwas erkennen von dem, was ihnen wichtig ist. Über diese Abwanderung hinaus findet eine noch einschneidendere Entwicklung statt, die man in Ermangelung eines besseren Begriffes als das Versickern des Konservativen bezeichnen kann. Kinderlose Ehen, explodierende Scheidungsraten, schamlose Sittenlosigkeit, Kinderschändung, Alltäglichkeit von Vertragsbrüchen und ein die Wirtschaft und damit Arbeitsplätze gefährdender Absturz der Zahlungsmoral lassen kaum einen anderen Schluss zu. Besonders gravierend tritt das auch im Erziehungswesen in Erscheinung. Staat und Eltern haben keine Vorstellung mehr von in den Lehren der Geschichte begründeten Erziehungszielen, um derentwillen Disziplin notfalls mit Sanktionen von der Jugend zu fordern wäre. Wenn man den Nachwuchs ohnehin verwöhnend seiner Begierdenatur überlässt, sind Disziplin und Sanktionen nicht begründbar. Den Wegfall von jeder Art von Repression durch den Verzicht auf Erziehung kann man nur dann als großen humanitären Fortschritt feiern, wenn man die offensichtlichen Zusammenhänge mit jugendlichen Alkoholexzessen, Jugendgewalt und -kriminalität ignoriert, leugnet und diese statt dessen der anonymen „Gesellschaft“ in Form von Sozialkritik anlastet.

Eine besorgniserregende Entwicklung ist auch die wachsende Scheu akademisch Ausgebildeter, besonders der Lehrer, Verantwortung zu übernehmen. So haben beispielsweise die Schulverwaltungen Mühe, früher begehrte freie Direktorenstellen zu besetzen, weil geeignete Kandidaten ablehnen, nur ihren Unterricht ableisten wollen, um sich dann ins Eigentliche, Private, in ihr Freizeitleben zurückzuziehen. Wenn Akademiker beginnen, sich so zu verhalten wie früher die Proletarier und Führungsverantwortung, für die sie ausgebildet sind und besoldet werden, nicht wahrnehmen, steht mehr in Frage als Wählerstimmenanteile von Parteien.

Der Stuttgarter Sozialphilosoph Günter Rohrmoser wies mit einer kleinen Schrift „Das Debakel“, schon 1985 auf die jetzt eingetretene Entwicklung der CDU hin. Nach dem Erscheinen dieser Schrift häuften sich zu diesem Thema bei dem Autor Einladungen von CDU-Verbänden zahlreicher Bundesländer. Diese Veranstaltungen wiesen in ihrem Verlauf erstaunliche Übereinstimmungen auf. Zur Thematik kam von den Zuhörern lückenlose Zustimmung. Kurz vor Ende dieser Veranstaltungen erhob sich stets ein Mandatsträger oder karrierewilliger aufstrebender Jungpolitiker, der in wärmsten Worten das bisher Erreichte verteidigte, aber auch die Ausführungen von Günter Rohrmoser anerkannte, um dann mit einem Halbsatz: „Aber wir müssen auch Wahlen gewinnen“, alles zunichte zu machen. Genau diese Haltung wurde Stefan Mappus zum Verhängnis, als seine politischen Gegner ihm mit Blickrichtung auf Angela Merkel und die Bundes-CDU diesen Opportunismus in der Atomdebatte mit Recht zum Vorwurf machten.

Damit dürfte die Ära des Trittbrettfahrens der CDU beim Rot-Grünen-Projekt so oder so zu Ende gehen. Bleibt sie uneinsichtig, stürzt sie möglicherweise auf das Niveau der italienischen Democrazia Cristiana ab. Setzt die CDU aber mit Schavan, von der Leyen und Rüttgers beispielsweise weiter auf den rot-grünen Kapitulationskurs, kann sie eigentlich nur in einem Lakaienstatus wie die Blockflötenparteien in der einstigen DDR enden. Damit wären auch alle Chancen dahin, nach dem zu erwartenden Ende des Rot-Grünen-Projektes als rettende Alternative aufzutreten, – siehe dazu auch Günter Rohrmoser „Ideologiezerfall – Nachruf auf die geistige Wende“, 1990. Besinnt sie sich jedoch auf ihre programmatische Substanz, kann sie sich diese wenn überhaupt nur auf einem langen Leidensweg auf den Oppositionsbänken wieder aneignen. Ein unwahrscheinlicher Fall, der aber nicht ganz ausgeschlossen werden kann. Das Rot-Grüne-Projekt wird wie im Bund früher oder später wieder scheitern, schließlich bedurfte es doch nicht grundlos 4 Jahren großer Koalition, um die erste Rot-Grüne-Legislatur-Periode auf Bundesebene aufzuarbeiten. Diese Situation wird ganz sicher wiederkommen, aber ob die CDU dann noch genügend Anhänger mobilisieren kann, die an die Aufräumarbeiten gehen, ist fraglich. Mit dem inneren und nun auch äußeren Bedeutungsverlust der CDU und dem Umschlag der FDP in den ebenso abgestraften Libertinismus hat das Rot-Grüne-Projekt keinen liberalen Gegenhalt und kein konservatives Korrektiv mehr. Wenn bisher in der Geschichte radikalen politischen Kräften Macht ohne dämpfenden und korrigierenden Gegenhalt zufiel kam es zu Exzessen, deren Schrecken verloren gegangen zu sein scheinen.

Abschließend sei noch auf die Bedeutung des Wahlausgangs in Baden-Württemberg hingewiesen. Dieses wohlgeordnete erfolgreich wirtschaftende Bundesland ging ohne Skandale oder Fehlleistungen sachlich unbegründet aus ideologischen Gründen der CDU verloren. Dies ist die eigentliche Zäsur! Hinter der verharmlosenden Floskel Politikwechsel verbirgt sich die Ablösung der bisher christlich-pietistisch hinterlegten politischen Kultur, aus der Baden-Württemberg seine wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Erfolge schöpfte. An deren Stelle tritt nun eine säkulare politische Ideologiebewegung, die ihre Wurzeln in der Aufklärung und speziell im neomarxistischen Antifaschismus hat. Die Folgen sind derzeit noch unabsehbar, eine Umkehr auf mittlere Sicht ist kaum möglich, da die erfolgreichsten Vorkämpfer des Rot-Grünen-Projektes die öffentlich-rechtlichen Medien beherrschen. Diese zensieren nicht nur die Bilder und Schlagzeilen, sondern schränken die Meinungs-, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit auf die von „political correctness“ zugelassenen Themen ein. Alles andere wird durch die jederzeit mobilisierbaren „Anarchistenmilizen“ in Aufruhr und Hass erstickt.

Wenn die CDU ihrem möglich gewordenen Niedergang entkommen will, wird sie von ihren Mitgliedern und Anhängern außerordentliche Anstrengungen einfordern müssen. Wie diese nach dem zuvor beschriebenen Schlingerkurs der Partei reagieren werden, ist offen. Möglicherweise kann sich die CDU die Antwort darauf sogar selbst geben. Es gab aber in Deutschland einmal Zeiten, in denen in noch größeren Krisen unsere Vorfahren entschieden: Es ist aussichtslos, aber mit Gottes Hilfe wollen wir es dennoch wagen.

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