Kurzkommentar - 06. Oktober 2013

Albert Wieland
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Rechtsstaatlichkeit und demokratische Politik*


I. Ägypten –
Islamistischer Gottesstaat oder Rechtsstaat


Das erste christliche Land der Geschichte macht in letzter Zeit Schlagzeilen der schlimmeren Art. Nach der Absetzung von Präsident Mubarak fanden die ersten freien Wahlen statt, aus denen Mursi als Sieger hervorging. Sein Anhang, die Muslimbrüder, hatte zuvor dem Westen erfolgreich die Muslimbruderschaft als Armenkrankenhäuser bauende barmherzige Samariter präsentiert, was auch unkritisch übernommen wurde. Nachdem die letzten drei christlichen Provinzgouverneure von marodierenden Muslimbrüdern aus dem Amt gejagt waren, koptische Kirchen brannten und die liberal-säkularen Muslime systematisch aus Ämtern und Funktionen entfernt wurden, formierten sich die verfassungstreuen Ägypter wieder auf dem berühmten Tahrir-Platz zum Kampf gegen diese Säuberungen und die de facto Suspendierung der Verfassung. Die Härte der Reaktion von Präsident Mursi machte daraus erst einen Anti-Mursi-Kampf mit dem Ziel seiner Absetzung. Seine Antwort bestand eigentlich in Gewaltanwendung, die gerechtfertigt sei, weil er der formalrechtlich korrekt gewählte Präsident wäre. Auf die Verfassungsbrüche seiner Politik und Gesetzesverstöße seiner Anhängerschaft, die den Unmut erst hervorgerufen hatten, ging er nicht ein. Auch das schluckte die in Sachen Islamismus seltsam blauäugige westliche Öffentlichkeit unbeanstandet, obwohl bekannt war, dass Muslimbrüder und ihre zum Teil noch analphabetischen Angehörigen in den Moscheen verpflichtet worden waren Mursi zu wählen, wodurch eher die Geistlichkeit der Muslimbrüder und Salafisten Mursi zum knappen Sieg verhalf als ein freier unbeeinflusster Wahlgang.

In westlichen Staaten bedeutet ein Militärputsch das Ende der Demokratie. In muslimischen Staaten spielt das Militär eine besondere Rolle. Es wacht über die Einhaltung der Rechtsordnung des Staates, mit Ausnahme der Türkei, wo von Europa und den USA ungehindert Ministerpräsident Erdogan gegen die Militärs seine Islamisierungspolitik durchgesetzt hat. Als in Ägypten der Straßenkampf der Muslimbrüder gegen die liberal-demokratischen Muslime und koptischen Christen bürgerkriegsähnliche Formen annahm, trat ein führender Vertreter der Muslimbruderschaft und der mit ihr verbündeten Salafisten vor die Presse und postulierte vor der Weltöffentlichkeit, dass Präsident Mursi Ägypten zu einem Gottesstaat unter der Scharia machen werde, der die Umma weltweit herstellen solle, inklusive der Tötung von Ungläubigen. Unmittelbar darauf setzte das Militär Mursi ab und installierte eine Übergangsregierung, die die Rechtsordnung und die Verfassung schützen soll. Während die USA die Rettung der ägyptischen Rechtsordnung und Verfassung vor den Islamisten anerkannten, nimmt die Bundesrepublik Deutschland eine dubiose Haltung ein zu dieser Abwehr eines Angriffs auf Rechtsstaat und Demokratie, sogar durch einen gewählten Präsidenten. Die Parallele zu Hitlers Umbau der Weimarer Demokratie nach seinem Amtsantritt, ebenfalls unter Bruch der Verfassung, fiel offensichtlich niemand auf. Außenminister Westerwelle warb, ohne einen Standpunkt zu beziehen, für eine „politische Lösung“ und Verhandlungen, was bei dem, was in Ägypten auf dem Spiel steht, seltsam abgehoben wirkt. Die Kanzlerin ordnete den Stopp von deutschen Militärlieferungen an und stellte der ägyptischen Übergangsregierung, die einen Bürgerkrieg verhindern muss und den Staat aus dem Griff der Islamisten zu befreien versucht, darüber hinaus deutsche und europäische Sanktionen in Aussicht. Das Bemühen, die neue ägyptische Regierung daran zu hindern, die Täter für die politischen Straftaten, Verfassungsbrüche und die islamistisch motivierten Morde zur Verantwortung zu ziehen, befremdet, da das ja für einen Rechtsstaat selbstverständlich sein sollte. Wir sollten in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass auch die Demokratie in Europa durch den revolutionären Furor der Sansculotten und den Horror der Guillotine ihren Anfang nahm. Nicht zu vergessen auch die Verbrechen der Sozialisten in ihren „Volksdemokratien“. Dazu äußert sich auch der ägyptische Journalist und Schriftsteller Hamed Abdel-Samad mit seinem Artikel „In der Geiselhaft des Islam“ im FOCUS 34/2013: ... Ob an der Macht oder in der Opposition, die Muslimbrüder waren immer gegen die Demokratie. Ein Jahr lang haben sie Ägypten regiert – und nutzten diese Zeit lediglich, um ihre Alleinherrschaft auszubauen und die islamistische Gesellschaftsordnung per Gesetz zu verankern. ... Die Armee ist zwar nicht demokratisch gesinnt, steht aber für Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit. ... Es nützt wenig, wenn der Westen sich hinter nutzlosen Floskeln und Ermahnungen versteckt.

Vielleicht ist die deutsche Haltung auch eine Nachwirkung der einst vom sowjetischen KGB maßgebend gesteuerten Friedensbewegung, die jede Kriegshandlung als unmoralisch verdammte, um die Abwehr kommunistischer Machtübernahmen zu schwächen und vergessen zu machen, dass es „Friedenszustände“ in bestimmten politischen Systemen gibt, die schrecklicher sind als Krieg.

Wenn schon das brutale Schicksal der ägyptischen Christen in dem ehemals christlichen Deutschland auf Gleichgültigkeit stößt, sollte doch die Rettung einer vom Gesetz geordneten Demokratie, die z. B. auch Deutschland aus dem Ruin von totalitären Regimen herausgeholfen hat, andere als diese Reaktionen hervorrufen. Es sei denn, unsere Regierung sähe sich gezwungen, so unwahrscheinlich das auch klingt, sich für solche Täter zu verwenden, um auf islamistische Vereinigungen in der Bundesrepublik Deutschland Rücksicht zu nehmen. Die Zweifel an der Richtigkeit der deutschen Vorschläge verstärken sich, seit das entschlossene Vorgehen der ägyptischen Regierung, mit breiter Unterstützung der Ägypter, die Muslimbrüder zum Aufgeben veranlasste, der Verfassung und den Gesetzen wieder Geltung verschaffte und zumindestens vorläufig die Ordnung wieder herstellte. Wäre die ägyptische Regierung den deutschen Ratschlägen gefolgt, wäre eine endlose, quälende Geschichte immer wieder gescheiterter Abmachungen mit Extremisten, die nicht versprechen können und wollen, wie so oft die Folge gewesen. Das lässt die europäische und ganz speziell die deutsche Haltung, einen Kampf für Verfassung und Rechtsordnung gleich zu behandeln mit einem Aufstand von Extremisten, als einen Schritt in Richtung Kapitulation vor terroristischer Gewalt erscheinen. Für ein Volk, das seine stabile Entwicklung fast 60 Jahren Demokratie verdankt, weil die USA und ihre Verbündeten den Nazis eben keine politische Lösung zugestanden haben, ist diese Wendung unserer Politik Anlass genug, nach den Ursachen dafür zu suchen.

II. Demokratiedeformierung in Deutschland

Die Demokratie ist bei Platon die zweitschlechteste Staatsform. Er machte das daran fest, dass die Demokratie als einzige Staatsform die Fähigkeit habe sich selbst zu korrumpieren. Diese geringe Einschätzung kann man u.a. damit erklären, dass in bestimmtem Turnus im antiken Athen aus mehreren Bewerbern der militärische Befehlshaber der Polis gewählt wurde. Diese Praxis verursachte nach einigen katastrophalen Niederlagen gewählter, aber unfähiger Strategen den Niedergang Athens. Richtige Entscheidungen dieser Art sind eben nicht durch Abstimmung mit Sicherheit zu treffen. Demokratie garantiert die Umsetzung der Mehrheitsentscheidung und ist nicht geeignet Entscheidungen mit Seins-Charakter zu treffen. Die Bedingungen für solche Entscheidungen kann die Demokratie selbst nicht schaffen, sondern muss sie vorfinden. Daran setzt auch bis heute die Demokratiekritik des Moralismus jeder Couleur mit seiner Entschlossenheit, tugendhaftes Verhalten zu erzwingen, an. Demokratie ist auch kein herrschaftsfreier Raum, wie die Anarchisten wollen, sondern es wird Herrschaft ausgeübt, an der sich aber das Volk selbst gestaltend beteiligen kann.

Nun hatten wir in der jüngsten Vergangenheit nebeneinander zwei deutsche Staaten mit der Staatsform Demokratie. In der Bundesrepublik Deutschland die westlich orientierte Form unter der Hegemonie der USA, in der DDR die sog. Volksdemokratie unter der Hegemonie der Sowjetunion. Im Vergleich konnte man feststellen, dass die demokratische Verfassung und Organisation der Volksdemokratie der bundesrepublikanischen in vielen Punkten überlegen war. Erst bei näherem Hinsehen konnte man feststellen, dass im vorpolitischen Raum durch die Organisationen der SED und der Gewerkschaften selektiert wurde und nur Bürger mit der allein zugelassenen Weltanschauung des Sozialismus sich an dieser Demokratie beteiligen durften. Der Ausschluss der anderen Bürger betraf nicht nur die politische Gestaltung, sondern auch Ämter im öffentlichen Dienst, in der Wirtschaft und Arbeitsplätze im Bildungsbetrieb, sowie die Vergabe von Studienplätzen. Daran erst konnte man erkennen, dass die auf dem Papier vorbildliche DDR keine Demokratie, sondern eine rigide Gesinnungsdiktatur war, die Demokratie strategisch zur Tarnung nutzte. Es ist notwendig, auf diese Konstruktion einer Scheindemokratie hinzuweisen, weil erneut viele Anzeichen darauf hindeuten, dass wir auf dem Weg in eine solche „Gesinnungsdemokratie“ sind.

Alexis de Tocqueville, der vor der Französischen Revolution nach Amerika geflohen war, stellte nüchtern fest: Er sei ein Verlierer und die Demokratie der Revolutionäre habe gesiegt. Deshalb wollte er untersuchen, welche Stärken und Schwächen die Demokratie habe, die sein und Europas künftiges Schicksal bestimmen werde. Sein Fazit war, dass in den USA die Demokratie deshalb so gut funktioniere, weil das Christentum Inhalte, Ziele und Sittlichkeit bereitstelle, welche die Demokratie umsetze. Zum gleichen Gegenstand stellte auch der Staatsrechtler Böckenförde angesichts fortschreitender Entchristlichung in Deutschland fest, dass die Demokratie damit an der Auszehrung von Bedingungen leide, die sie selbst nicht ersetzen könne.

Unter der Herrschaft des Relativismus, politischer Umorientierung, Medienpropaganda und eigenem Versagen wurde das Christentum aus der politischen Öffentlichkeit ins subjektiv Private abgedrängt. Gleichzeitig sind aber auch die Bestände sozialstaatlicher Utopie der Aufklärung erschöpft, zum einen, weil bestimmte Teile davon zum selbstverständlichen Allgemeingut geworden sind, oder aber zum größeren Teil, weil sie gescheitert sind. Die gähnende Leere und Sinnlosigkeit, die Nietzsche noch befürchtete und die uns heute im alltäglich gewordenen Nihilismus umgibt, versuchte die Politik notgedrungen mit moralischen Kampagnen zu füllen. Zunächst wurden in der Emanzipationsbewegung die Frauen „befreit“. Der frühere NRW-Sozialminister Farthmann (SPD) kritisierte das vernichtend. Höflich umschrieben nannte er das weiblichen Geschlechtsfaschismus. Danach die Multikulti-Traumfabrik und heute der Schwulen- und Lesbenkult. Seit die Grünen wegen ihrer früheren Politik mit dem Ziel der Entkriminalisierung von Pädophilen mit sozialistischer Bruderhilfe eine lückenlose Aufklärung verschleppen, ist wenigstens dieses Thema tabuisiert, so dass das Fehlen kampagnefähiger Themen mit Anknüpfungen an frühere Kampagnen überspielt wird. Die Zielgruppe für diese Wiederholungen sind solche, vorwiegend junge Menschen, die es vorziehen, ohne Zeitverlust durch Lernen, direkt durch Propaganda politisch kompetent zu werden. Das ist gefährlicher politischer Zündstoff weil uns die letzte Jugendbewegung dieser Art, die APO, bis heute mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Der Großteil der Staatsbürger engagiert sich lieber beruflich und räumt damit das Feld, was diesen disproportionalen Einfluss einer umtriebigen Minderheit möglich macht.

Mit der Erschöpfung der Faszinationskraft dieser Moralkampagnen bleibt der Politik keine Wahl als zunehmend autoritär und, durch die Ersetzung der fehlenden Orientierung, auch totalitär zu reagieren. Demokratie wird am Verlust der beschriebenen unverzichtbaren Bedingungen und den bisher noch nie gelungenen Versuchen der Politik sie zu ersetzen handlungsunfähig. In diesen entstehenden Freiraum wandern dann die ersatzreligiösen Heilslehren von rechts- und linksaußen ein, die auch freudig begrüßt werden, wenn sie nur die Bekämpfung des anarchischen Chaos versprechen.

Viele meinen heute, dass eine Rückwendung zu den Kirchen Abhilfe schaffen würde. Das ist reine Illusion, denn das Christentum, das einst die Deutschen erfasst und groß gemacht hat, gibt es in diesen Kirchen immer seltener. Wie könnten solche Kirchen einen Beitrag zur Erneuerung leisten, die mit Rücksicht auf einen illusionären Multikulturalismus ihrem Stifter den Missionsbefehl verweigern? Kirchliche Institutionen wählen Schwule und Lesben, die Gott nach der Schrift ein Ärgernis sind, in Ämter und segnen ihre Verbindungen, um damit Weltoffenheit und Toleranz zu demonstrieren. Wenn Kirchen sogar von einer unvergebbaren Schuld im Zusammenhang mit den Untaten eines sogar im bürgerlichen Leben gescheiterten Österreichers reden und statt wie sie sollten die Vergebung der Sünden und damit die Rechtfertigung des Sünders zu verkündigen, geben sie falsches Zeugnis ab, dass ihr Namensgeber sein Werk der Erlösung der Schuldbeladenen unvollendet gelassen habe. Das ist ein völlig anderes Christentum als das, welchem Karl der Große, Kaiser Otto I., Thomas von Aquin oder Martin Luther, um nur diese zu nennen, gefolgt sind. Nicht unerwähnt bleiben darf, dass es neben von politischer Moral okkupierten Kirchen und nicht selten politisch instrumentalisierten zeitgeisthörigen Würdenträgern auch das ursprüngliche Christentum noch gibt, mit allen Merkmalen, die in der Bibel nachzulesen sind.

In einer christlichen Akademie versuchte Bernhard Vogel, ehemaliger Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz und Thüringen, die von Ausnahmen abgesehene Statistenrolle christdemokratischer Politiker in der evidenten Kulturkrise zu rechtfertigen, indem er mit Blick auf die Abtreibung ungeborenen Lebens sagte: Wir haben schlimmen Dingen zugestimmt, um noch schlimmere zu verhindern. Mit dieser an die Jesuiten erinnernde Maxime wird der notwendige politische Kompromiss zu einem Freibrief, um sich an jeder Erscheinung des Zersetzungsprozesses der Aufklärung beteiligen zu können. Anders dagegen der in den evangelischen Kirchen vergessene Luther: Einer Obrigkeit, die aus menschlicher Schwäche irrt und Fehler macht, ist der Christ zum Gehorsam verpflichtet. Einer Obrigkeit aber, die bewusst das allgemeine Sittengesetz bricht mit dem Ziel es abzuschaffen, muss der Christ Widerstand leisten bis zum Tode. Ende des Kompromisses!

Da von den zuvor skizzierten Kirchen ein Beitrag zur Rettung unserer Demokratie vor dem wachsenden Totalitarismus kaum zu erwarten ist, versuchten Bürger durch Gründung von Parteien und Verbänden unter Wahrnehmung ihrer Bürgerrechte dem drohenden Unheil zu steuern. Das Schicksal dieser Parteien und Verbände, die unter Bruch der Verfassungs-und Bürgerrechte platt gemacht wurden, illustriert den inneren Zustand unserer Demokratie besser als jede spitzfindige Abhandlung. Der Grund für die Angriffe und letztendliche Reduktion auf Kümmerexistenz oder Zerstörung liegt in deren Zielsetzung. Diese Bürgerzusammenschlüsse hatten im weitesten Sinne die Selbstbehauptung der Deutschen als Staatsvolk in ihrem Land und die Tradierung der deutschen kulturellen Identität zum Gegenstand, was genügte, um die außerparlamentarische Macht zu veranlassen, ihre Handlanger loszulassen. Ein Land, in dem das Heimatvolk mit seinen Institutionen nur die Lebensfristungsbedingungen verbessern darf und damit die Zahlungsfähigkeit, aber alle Entscheidungen zu seiner Erhaltung als Volk und seiner Kultur unterdrückt werden, bezeichnet man nicht als souveränen Staat, sondern als Kolonie, in der die Deutschen die Eingeborenen oder Aborigines sind. Cem Özdemir von den Grünen sprach in diesem Zusammenhang schon von den bloßen „Bio-Deutschen“. Da diese Politik ihrem Sättigungspunkt nahe ist, ist absehbar, dass die Deutschen in wenigen Jahren die äußere Gestalt ihres Daseins als Volk verloren haben könnten und nur noch ein Element in einem amorphen Bevölkerungsgemisch in dem, was einmal Deutschland war, sein werden.

Wenn auf der kirchlich religiösen und politischen Schiene keine Hilfe für unsere Demokratie im Sog des Totalitarismus zu erwarten ist, bleibt eigentlich nur noch die Philosophie. Da aber Philosophie eine Wissenschaft ist, kann sie keine Wahrheit begründen, sondern ist darauf angewiesen, dass eine Wahrheit behauptet wird. Erst dann kann sie diese Wahrheit entweder dementieren oder nachweisen und ihre Auswirkung auf das Ganze beurteilen. Dabei habe ich besonders das religionsphilosophische Werk von Günter Rohrmoser im Sinn, der in der Nachfolge von Sokrates, Platon, Hegel und anderen, den Philosophen als Arzt einer kranken Kultur sah und die Philosophie als Heilmittel. Seit Platon ist Philosophie entweder „Not-wendig“ oder sie bleibt eine Art Gedankenartistik in einer eigenen Welt ohne Verbindung zur Wirklichkeit. Erst wenn eine Not eingetreten ist, die mit einer solchen Philosophie behoben werden kann, ist mit einer lebens- und wirklichkeitsgestaltenden Rezeption zu rechnen. Das schließt politische Strategien aus, weil die wesentlichen Fragen weder politisch erfasst, noch behandelt werden können. Wenn aber der ehemalige israelische Außenminister Abba Eban mit seiner Bemerkung vor der UNO recht behält, dass sich Völker und Staaten erst dann klug verhalten, wenn alle anderen Möglichkeiten erschöpft sind, dann steht uns wohl noch einiges bevor.

Demokratie ist zwar die zweitschlechteste Staatsform, aber die einzige, bei der die Bürger über ihre Beherrschung mitbestimmen können. Wenn die bereits angeschlagene zweite deutsche Demokratie nicht das Schicksal der ersten ereilen soll, ist es unerlässlich, die verfassungswidrige Selektion in Bürger erster und zweiter Klasse durch die rot-grünen Moralisten im Auftrag der außerparlamentarischen Macht zu unterbinden und die fast schon verlorene Freiheit des Gedankens und der Rede zurückzugewinnen. Das ist unverzichtbare Bedingung, weil die Rettung unserer Demokratie und ihrer sinnstiftenden Inhalte nicht aus knechtischem Sichfügen in sorgfältig arrangierte Sachzwänge erwächst, sondern vor allem anderen eines Freiheitsaktes bedarf, der zwischen den uns vorgelegten „Wegen zum Leben“ und „Wegen zum Tode“ eine klare Entscheidung trifft.

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