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Unterschied und Gemeinsamkeit - Nachruf des Stuttgarter Sozialphilosophen Günter Rohrmoser
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Peter von Oertzen ist von der Öffentlichkeit fast unbemerkt verstorben. Ich habe mit ihm einen Menschen verloren, dem ich mehrfach in meinem Leben begegnet bin und der mich immer wieder beeindruckt hat durch seine unglaubliche menschliche Fairness und seinen leidenschaftlichen Einsatz für eine Humanisierung unserer Gesellschaft. Kennengelernt habe ich ihn während unserer gemeinsamen Mitarbeit in der Marxismuskommission der Evangelischen Kirche Deutschlands. Wir waren selten einer Meinung in der Sache. Unsere sachlichen Differenzen haben aber nie die Herzlichkeit und die Intensität unseres menschlichen Austausches beeinflusst. Peter von Oertzen war einer der großen führenden Linken in der Geschichte der Bundesrepublik, der nicht nur jahrzehntelang dem Vorstand der SPD angehörte und für seine Partei als Kultusminister in Hannover tätig war, sondern der vor allem lange Zeit der engste Berater eines der bedeutendsten deutschen Gewerkschaftsführers, des legendären DGB-Vorsitzenden Brenner, gewesen ist. Danach traf ich Peter von Oertzen wieder in einer Diskussion in der berühmt-berüchtigten Talkshow "Talk im Turm", die nun auch schon viele Jahre zurückliegt. Er sollte in diesem Gespräch zu mir eine Gegenposition wahrnehmen und sich kritisch zu dem gerade erschienenen Buch "Der Ernstfall - Die Krise unserer liberalen Republik" äußern. Ich erinnere mich noch sehr gut an das Erstaunen, ja fast Entsetzen des Diskussionsleiters, als Peter von Oertzen ganz entgegen der in ihn gesetzten Erwartung dieses Buch in den höchsten Tönen zur allgemeinen Lektüre anpries. Er hat diese seine Meinung auch in einer Rezension in DIE ZEIT zum Ausdruck gebracht, in der er in einer Art, wie das weder vor noch nach ihm einer getan hat, meine Position als die eines überzeugten Konservativen und leidenschaftlichen Liberalen charakterisiert hat.* Nun muss man wissen, dass eine der wesentlichsten Quellen, aus denen Peter von Oertzen in seinem Denken und in seinem politischen Kampf geschöpft hat, das Werk von Karl Marx gewesen ist. Es wäre aber völlig falsch, ihn aus diesem Grunde als Marxisten zu bezeichnen, sondern für ihn war Karl Marx eine wichtige Quelle von Erkenntnissen und auch von Irrtümern, und er hat sich intensiv nicht nur mit Marx, sondern auch mit allen Gegenpositionen politologischer und philosophischer Art auseinander gesetzt. Noch wenige Jahre vor seinem Tod rief er mich eines Tages an und wir hatten ein langes Gespräch über eines meiner Bücher mit dem Titel "Emanzipation oder Freiheit - Das christliche Erbe der Neuzeit" geführt. Es hat mich tief beeindruckt, dass Peter von Oertzen, der die 80iger bereits überschritten hatte, sich in einer ungebrochenen geistigen Offenheit und Aufgeschlossenheit mit diesem Buch nicht nur auseinander setzte, sondern es sich auch aneignete, obwohl es weit von dem entfernt war, was er in einem großen Teil seines Lebens für richtig gehalten hat. Warum nehme ich den Tod von Peter von Oertzen zum Anlass, an diese meine persönlichen Begegnungen mit ihm zu erinnern? Weil er für eine politische Kultur in unserem Lande steht, die zwar ständig beschworen wird, von der aber wenig oder gar nichts in der Realität zu spüren ist. Es wäre undenkbar gewesen, dass Peter von Oertzen sich jemals der Denunziation und der Diffamierung bedient hätte, um ein Denken zu bekämpfen, das er aus politischen Gründen nicht für wünschenswert gehalten hat. Ich werde daher Peter von Oertzen stets ein ehrendes und freundschaftliches Andenken bewahren. --- * Die Besprechung von Peter von Oertzen in DIE ZEIT Nr. 3/1995 drucken wir nachfolgend noch einmal ab, weil dieser zum Dokument gewordene Text heute wahrscheinlich nicht mehr geschrieben und schon gar nicht veröffentlicht würde. Die Redaktion --- DIE ZEIT 03/1995 S. 16 * Die Besprechung von Peter von Oertzen in DIE ZEIT Nr. 3/1995 finden Sie hier |