29. November 2007

Landpost-Interview
Deutsches Wochenblatt Landpost
"Was wir heute nicht lernen wollen, werden wir morgen fühlen müssen"


Am 29. November hat Professor Günter Rohrmoser seinen 80. Geburtstag begangen. Eine Festschrift würdigt das Werk des Philosophen. Gegenüber der Landpost erläutert Rohrmoser einige zentrale Einsichten und Anliegen seines Lebenswerkes.

Landpost: Professor Rohrmoser, die Erwärmung der Erdatmosphäre ist ein Dauerthema. So kann es nicht weitergehen, ermahnen uns fast täglich die Klimaforscher. Daraus resultiert in erster Linie die Forderung, Autos und Heizungen zu benutzen, die Kohlendioxid sparen, um weniger Treibhausgase freizusetzen. Lassen sich die Umweltprobleme der Menschheit mit technisch-wissenschaftlichen Reparaturmaßnahmen in den Griff bekommen?

Rohrmoser: Das Überleben der Menschheit wird weniger vom Grönlandtourismus unserer hyperaktiven Bundeskanzlerin abhängen, als vielmehr davon, ob sich die führenden Nationen dieser Welt, zum Beispiel Russland, die USA, China und Indien, auf ein gemeinsames Progamm für den Umweltschutz einigen können. Vorsichtig ausgedrückt halte ich die politischen Möglichkeiten Deutschlands, am Zustandekommen einer solchen Umweltallianz mitzuwirken, für relativ beschränkt.

In der Ökologiekrise wird konservatives Denken eingefordert. Früher galt das Prinzip Hoffnung als Vorbild, wie das gleichnamige Hauptwerk des marxistischen Denkers Ernst Bloch heißt. Er hat darin die utopischen Fortschrittserwartungen der aufgeklärten Menschheit ausformuliert. Doch inzwischen hat sich das Prinzip Verantwortung zu Wort gemeldet. Es wurde vom Philosophen Hans Jonas proklamiert. Der Kern seines gleichnamigen Alterswerkes ist der sogenannte ökologische Imperativ: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ Wie geht es weiter: mit Hoffnung oder mit Verantwortung?

Die Ökologiekrise erschüttert die geistigen Grundfesten und Prinzipien unserer technischen Zivilisation. Die sich jetzt zurückmeldende Natur zwingt uns, unsere Kultur in Frage zu stellen. Wer etwa glaubt, zum Beispiel den Klimawandel mit technologischer Innovation allein lösen zu können, verfehlt mit einem solchen Ansatz den Kern dieses Menschheitsproblems. Das Wiederaufbrechen der Kulturfrage, in die die Frage der Religion mit eingeschlossen ist, bedeutet aber nichts anderes, als die Wiederkehr eines irrtümlich für erledigt erklärten Grundthemas konservativen Denkens. In Widerspruch hierzu steht unsere paradoxe Lage, dass wir eigentlich jede Hoffnung fahren lassen müssen, dass es unter den gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Bedingungen zu der dafür erforderlichen Revolution unseres Bewusstseins kommen könnte. Dies ist letztendlich das Ergebnis und die Folge der antikonservativen Kulturrevolution der 68er-Generation.

Die politische Linke in Deutschland hat unter dem Dach der sogenannten Frankfurter Schule ein gemeinsames Haus gebaut. Jürgen Habermas gilt als geistiger Vorkämpfer dieses Denkens, das die politische und philosophische Debatte in unserer Gesellschaft dominiert. Wie ist unter diesen Rahmenbedingungen konservatives Denken überhaupt noch möglich?

Deutschland ist nur ein Teil der Welt. Global gesehen vollzieht sich die Orientierung an konservativen Mustern und Traditionen in einem teilweise atemberaubenden Tempo. Das trifft für Russland, erkennbar für China und ganz deutlich für die USA zu. Das heißt, die entscheidenden Weltmächte bewegen sich längst in die Richtung, die wir hier in Deutschland mit immer absurder und lächerlicher wirkenden Methoden bekämpfen. Ein Beispiel hierfür war kürzlich die Tribunalisierung der eher harmlosen Eva Herman wegen ihrer familienpolitischen Ansichten.

Veränderungen, wie die angesichts der Ökologiekrise notwendige konservative Mentalitätsänderung, vollziehen sich meist unbewusst und werden den Menschen von der Geschichte selbst aufgenötigt. Bismarck hat einmal gesagt: Die Geschichte arbeitet exakt wie die preußische Rechnungskammer und wird uns morgen auf Heller und Pfennig den Preis für unsere Bewusstseinsverweigerung präsentieren. Ich bin überzeugt: Was wir heute nicht lernen wollen, werden wir morgen fühlen müssen.

Ist in diesem Sinn auch der Titel der Festschrift zu Ihrem 80. Geburtstag zu verstehen: „Tamen - Gegen den Strom“?

Der Titel des Buches ist nicht zufällig gewählt. Er erinnert an eines der letzten Worte des Reformators Martin Luther angesichts dessen, wie es in der Welt zugeht. Tamen ist lateinisch und bedeutet dennoch, trotzdem. Gemeint ist hier aber nicht eine psychologische oder politische Trotzhaltung. Es geht vielmehr um den theologischen Kern des evangelischen Christentums: Die Unverbrüchlichkeit der göttlichen Heilszusage entgegen allen weltlichen Widrigkeiten.

Auf der Festschrift finden sich zwei programmatische Insignien. Vorne die Lutherrose, auf der Rückseite die Hegelmedaille. Für welche Aspekte Ihres Denkens stehen diese Symbole?

Die Lutherrose erinnert daran, dass, wenn die theologische Wurzel der Freiheit abstirbt, auch alle von ihr abgeleiteten, sekundären Freiheitsformen, die unserer Gesellschaft heute so wichtig sind, mit absterben. Das heißt, Luther kann in diesem Sinn zu einer Aufklärung der Aufklärung über sich selbst beitragen. Und die Hegelmedaille erinnert an den Unterschied zwischen Vernunft und Verstand. Das Subjekt der Aufklärung ist der Verstand. Aber wir halten den Verstand für Vernunft. Die Frage, wie der sich in der Ökologiekrise als selbstzerstörerisch erweisende wissenschaftlich-technische Fortschritt begrenzt werden könnte, kann mit dem Verstand überhaupt nicht beanwortet werden, sondern nur mit der Vernunft im Sinne Hegels. So klärt auch Hegel uns über die Aufklärung auf: Seine Unterscheidung von Vernunft und Verstand lässt uns verstehen, wie es möglich ist, dass höchste, rationale Intelligenz mit selbstzerstörerischer Dummheit einhergehen kann.

Religion gilt in Deutschland als veraltet, das Christentum hat man im politischen Alltag schon längst abgehakt. Die Wiedergeburt der Religion als politische Kraft gehört zu ihren zentralen Thesen. Gibt es dafür Anzeichen?

Hier ist zweierlei wichtig: Erstens war und ist die Religion in der Lebenswirklichkeit der Menschen stets präsent. Zweitens ist es alles andere als ein Zufall, dass sich die Religion in der Welt- und Tagespolitik zurückgemeldet hat. Zum ersten Punkt: Auch im Deutschland der Gegenwart haben wir es mit einer bis an den Rand mit Religiosität, religiöser Sehnsucht und Sinnsuche erfüllten Gesellschaft zu tun. Das gilt selbst dann, wenn der Sinn im Unsinn gesucht wird, wie das bei so vielen esoterischen Angeboten der Fall ist. Die Intensität der Religiosität der Menschen ist meiner Meinung nach heute sogar noch größer als im Mittelalter. Nur haben sich die meisten Menschen soweit vom herkömmlichen Christentum entfernt, dass sie dessen Sprache gar nicht mehr verstehen. Deshalb geht es heute nicht nur um die Verkündigung der christlichen Wahrheit, wenn sie denn überhaupt noch verkündet wird. Erforderlich ist vielmehr die Verteidigung der christlichen Wahrheit, etwas, das man zur Zeit des frühen Christentums als Apologie bezeichnet hat.
Auch mit Blick auf den zweiten Punkt halte ich dies für einen Überlebensimperativ unserer Zeit. Angesichts der Rückkehr der Religion in der Gestalt des Islam mitten in unserem Land, sind die Christen und christlichen Kirchen in Deutschland gezwungen, sich entweder auf ihre Herkunftsreligion zu besinnen oder zu konvertieren. Die deutsche Gesellschaft bekennt sich zur der Philosophie des Relativismus. Das heißt, für uns gibt es nur subjektive Meinungen, aber keine Wahrheit, also keine allgemein verbindliche Wirklichkeitserkenntnis mehr. Aber das kann tödlich wirken unter dem realen Druck der Probleme. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir auf Dauer die Spannung aushalten zwischen dem relativierenden Rationalitätsanspruch der Wissenschaft und dem absoluten Wahrheitsanspruch des Islam, wenn wir uns nicht zurückbesinnen auf unsere eigenen geistigen Wurzeln. Es geht für uns um die durchaus offene, das heißt nicht im Vorgriff negativ zu beantwortende Frage, ob unser Land und seine Demokratie die Kraft zu einer inneren Erneuerung findet, die nicht nur soziale oder ökonomische Aspekte berücksichtigt, sondern die die Kultur und das Ethos mit einbezieht.

Wenn man Ihre Vorlesungen und Schriften als Ganzes betrachtet, zeichnen Sie ein Panorama des 2000jährigen geistigen Erbes Europas von Platon bis Heidegger. Wie ist Ihreeigene Philosphie vor dem Hintergrund abendländischen Denkens zu verstehen?

Meine philosophische Prägung verdanke ich vor allem Joachim Ritter. Er ist einer der bedeutendsten Philosophen der deutschen Nachkriegszeit gewesen neben Hans-Georg Gadamer, dem Begründer der Hermeneutik, und Max Horkheimer, einem Vordenker der Frankfurter Schule. Ich bin wesentlich angeregt worden von einem kleinen, aber außerordentlich wirkungsvollen und dichten Essay von Ritter über den Philosophen Hegel und die französische Revolution. Mein Denken unterscheidet sich jedoch von der Hegelinterpretation Ritters vor allem hinsichtlich der Auseinandersetzung Hegels mit der Religion im allgemeinen und dem Christentum im besonderen. Dieser Aspekt schien mir in der Ritterschen Interpretation etwas unterbelichtet zu sein. Er wurde zum Kristallisationspunkt meiner philosophischen Arbeit. Ich habe insbesondere den gesamten Sozialismus und Marxismus einschließlich der Frankfurter Schule sehr intensiv bearbeitet. Eines meiner Anliegen ist es, das konservative Denken philosophisch neu zu begründen angesichts der Krise der Moderne.

Von wem fühlen Sie sich in Ihrem Denken am ehesten verstanden?

Kein Weber weiß, was er webt. Was das ist und was das wirkt und ob es wirkt? — diese Frage kann man selbst gar nicht beurteilen. Das meiste Verständnis habe ich dort gefunden, wo ich es am wenigsten erwartet hätte: bei Katholiken und Russen. Ihnen gelte ich als konservativer Lutheraner. Es erfüllt mich mit einer gewissen Traurigkeit, dass das breite deutsche Publikum, in dessen Interesse es eigentlich hätte liegen müssen, mir einige Aufmerksamkeit zuzuwenden, kein größeres Verständnis entgegengebracht hat. Aber in dieser Hinsicht halte ich es mit Ernst Bloch, der in einer ähnlichen Situation einmal sagte: „Es ist noch nicht aller Tage Abend. Geschlagen ziehen wir nach Haus, doch unsere Enkel fechten‘s besser aus.“ Und an diese Enkel glaube ich. gr